In Essens Alter Synagoge wird wieder Gottesdienst gefeiert

Essen. Die Alte Synagoge erlebte auch nach Kriegsende eine wechselvolle Geschichte. Nach über 75 Jahren sollen hier im März Gottesdienste gefeiert werden.

Es ist ein kleines Ereignis und ein großes Symbol: Wenn das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk in der kommenden Woche zu einer Tagung in der Alten Synagoge zu Gast ist, wird es dort auch zwei Morgen-Gottesdienste geben. „Es sind meines Wissens die ersten, die seit dem 9. November 1938 hier stattfinden“, sagt Uri Kaufmann, Leiter der Alten Synagoge, die heute als „Haus jüdischer Kultur“ Museum, Kulturzentrum und Bildungseinrichtung ist. Nur als Gotteshaus wurde die 1913 eröffnete Synagoge nicht mehr genutzt.

Dabei war es dem nationalsozialistischen Mob in der Pogromnacht 1938 nicht gelungen, das stolze Bauwerk von Architekt Edmund Körner zu zerstören. Wohl wurde das Innere der Synagoge Raub der Flammen, das Äußere blieb fast unversehrt. Die jüdische Gemeinde aber wurde ausgelöscht: 2500 Essener Juden wurden ermordet.

„Nach Kriegsende gab es in Essen nur 80 Überlebende, sie hätten sich in dem Hauptraum der Synagoge mit 1400 Plätzen verloren“, erzählt Kaufmann. „Darum richtete sich die jüdische Gemeinde einen Betsaal im benachbarten Rabbinerhaus ein.“ 1959 wurde die Neue Synagoge im Südostviertel fertiggestellt; bis heute Mittelpunkt des jüdischen Gemeindelebens.

Böse Wunden zugefügt
Die Alte Synagoge sollte indes eine wechselvolle Geschichte erleben, auch weil sich die Stadt lange schwer tat mit diesem Erbe. „Die Brandruine stand mitten im Zentrum, Passanten konnten sie nicht übersehen“, sagt die Judaistin Martina Strehlen, die für die Alte Synagoge arbeitet. Doch zum einen hätten Trümmer und Ruinen in den Nachkriegsjahren zum Stadtbild gehört. Zum anderen hätten Bürger ebenso wie die – vielfach NS-belasteten – Amtsträger die Auseinandersetzung mit dieser Verantwortung gescheut.

Nur so lässt es sich erklären, dass sich die Stadt erst zum Kauf der Alten Synagoge entschied, als sie eine vermeintlich unverfängliche, tatsächlich aber geschichtsvergessene Nutzung gefunden hatte: Die „Ständige Schau formschöner Industrieerzeugnisse“, die zunächst auf der Villa Hügel gezeigt wurde, zog 1961 in die Alte Synagoge, die nun als „Haus Industrieform“ firmierte.

Während man damals die moderne Architektur lobte, wundert sich Uri Kaufmann heute über den Frevel, dass man einen unpassenden Eingang ins Portal setzte und den Hauptraum aller erhaltenen Schätze beraubte. „Es ist unverständlich, dass man den Thora-Schrein abbrach und das Goldmosaik von Edmund Körner zerstörte, genau wie die Frauen-Empore.“ 15 Jahre nach Kriegsende fügte man der Synagoge böse Wunden zu.

Wertvolle Elemente rekonstruiert
Dabei hatte damals zaghaft eine Debatte darüber begonnen, ob es in Essen nicht eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus geben sollte. „Auf den Gedanken, die Synagoge als Mahnmal zu nutzen, kam man nicht“, schrieb der Stadthistoriker Ernst Schmidt im Band „Ein Haus, das bleibt“, der das Ringen um die Alte Synagoge nachzeichnet. Hier ist auch zu lesen, dass Superintendent Gerhard Krupp die Unterbringung der Design-Schau in dem Haus eine „Geschmacklosigkeit“ nannte.

Das war Mitte der 1960er Jahre, doch erst 1980 beschloss der Stadtrat, die Synagoge künftig als Dokumentationszentrum in städtischer Regie zu nutzen. Ein Jahr zuvor hatte ein Brand im Haus Industrieform den Großteil des Bestandes zerstört. Ein Ereignis, das Neuaufbau und Umzug der Ausstellung nötig machte – und die folgende Ratsentscheidung erleichterte.

Seither wurden wertvolle Elemente rekonstruiert, Bausünden geheilt, eine Schau über jüdische Geschichte und modernes jüdisches Leben erstellt, die 2015 wieder 33 000 Besucher anzog. Auch Tagungen wie die über jüdische Familiengeschichten im März gehören zum Alltag der Synagoge. Nur ihrer ursprünglichen Bestimmung blieb sie entkleidet; dabei gibt es im Judentum keine Vorschrift, dass ein Gebetshaus geweiht sein muss: „Man kann überall beten“, sagt Uri Kaufmann. Darum hat er Rabbiner Shaul Fryberg von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg eingeladen, die Morgen-Gottesdienste mit seinen Tagungsteilnehmern in der Synagoge zu feiern. Ein gegenseitiges Geschenk: Wird die Alte Synagoge so doch nach über 75 Jahren wieder zum Gebetsort.

1913 war die Synagoge ein Symbol der Hoffnung
Als die Alte Synagoge 1913 eröffnet wurde, war sie noch die „neue Synagoge“: Gotteshaus für eine wachsende jüdische Gemeinde, der die Synagoge am Weberplatz zu eng geworden war. Entworfen wurde der stolze, freistehende Bau mit gut 1400 Plätzen vom Architekten Edmund Körner, nach dem heute der Vorplatz der Synagoge benannt ist.

Mit dem Bauwerk in unmittelbarer Nähe zur Münsterkirche (Dom) habe sich „die Hoffnung auf Akzeptanz“ verbunden, sagt der Leiter der Alten Synagoge, Uri Kaufmann. Eine Hoffnung, die spätestens als die Synagoge 1938 in Flammen stand, mitverbrannte.

Kaufmann leitet die Alte Synagoge als Museum und Kulturzentrum, sucht den Dialog mit anderen Religionen, lädt Schulklassen ein. Behutsam und wenn sich der Anlass ergibt, erinnert er auch daran, dass sein Haus ein Sakralbau ist. So freute er sich, als zum 100. Geburtstag 2013 der Synagogenchor der Israelitischen Kultusgemeinde Zürich zu Gast war: So bekomme man „einen klanglichen Eindruck von den jüdischen Gottesdiensten, wie sie bis 1938 gefeiert wurden“.

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